Verzerrung

Kognitive Verzerrung in der Verhandlungsführung – Teil 1

Eine sogenannte Kognitive Verzerrung (cognitive bias) beschreibt die systematische fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Das große Problem dabei ist, dass dies meist völlig unbewusst abläuft.

Warum ist die kognitive Verzerrung in der Verhandlungsführung wichtig?

Ich denke, das ist offensichtlich. Meine folgenden Beispiele beziehen sich auf den auditiven Wahrnehmungskanal (das Hören):

  • Je mehr Fehler wir in der Wahrnehmung machen, desto schwieriger wird eine adäquate Reaktion auf das, was gesagt (aber nicht gehört oder verstanden) wurde.
  • Je weniger wir uns an das erinnern, was wirklich gesagt wurde, desto weniger können wir es bei unserer eigenen Entscheidungsfindung, unserer Strategiefindung, unseren eigenen Vorschlägen berücksichtigen.
  • Je weniger wir uns unserer eigenen Wahrnehmung und unserer systematischen Fehler im Denken bewusst sind, desto schwieriger wird es, logische, vernünftige Schlüsse zu ziehen.
  • Und zum guten Schluss wird das alles unser Urteilsvermögen negativ beeinflussen. Wir müssen aber in Verhandlungen sachlich auf Tatsachen basierend urteilen, statt zu sehr auf reiner Gefühlslage zu entscheiden.

Einer der wichtigsten Lernpunkte in fast jedem meiner Seminar und Coachings ist tatsächlich unsere äußerst eingeschränkte menschliche Wahrnehmung und die vielen, immer wiederkehrenden kognitiven Verzerrungen (ich nenne sie natürlich in einem Seminar oder Coaching nicht so, sondern mache unsere kleinen, typisch menschlichen Schwächen auf eher spielerische, humorvolle Weise bewusst).

Die beschränkte menschliche Wahrnehmung

Aber vor allen Wahrnehmungsverzerrungen gilt es, zuvor die grundlegenden Beschränkungen der menschlichen Kommunikation kurz zu beleuchten. Zuerst einmal dürfen wir uns über unsere von Haus aus eingebauten menschlichen Schwächen bewusst werden:

Da viel zu viele Informationseinheiten in jedem Augenblick unseres Daseins auf uns einprasseln, hat der menschliche Verstand einige Filter eingebaut. Wir bekommen also nur einen Bruchteil aller Informationen mit. Das betrifft alle Wahrnehmungskanäle, die uns zur Verfügung stehen (sehen, hören, fühlen, schmecken, riechen). Die beiden Letzten spielen in der zwischenmenschlichen Kommunikation praktisch keine Rolle. Ergo können wir uns auf die ersten Drei konzentrieren. Wenn wir in einer geschäftlichen Verhandlung das Gefühl herauslassen wollen, bleiben uns zwei Kanäle (wir Menschen sind allerdings Gefühlswesen und eine vollständige Ausblendung der Emotionen ist daher de facto nicht möglich). Aus meiner Erfahrung der letzten 16 Jahre kann ich sagen, dass tatsächlich ausnahmslos alle Menschen große Schwierigkeiten haben auch nur ansatzweise „alles“ wahrzunehmen, was gesagt wurde (und das ist nur EIN Kanal). Wir alle kennen beispielsweise das Spiel „Stille Post“, nicht? Es reicht dabei eine Gruppe von zehn bis zwölf Personen ganz locker aus, um am Ende der Schlange eine vollkommen andere Botschaft zu hören, als zu Beginn gesagt wurde. Vielleicht kennen sie auch das beliebte Spiel in Kommunikationstrainings, bei dem der Seminarleiter eine kurze, einfache Geschichte vorliest. Anschließend dürfen die Teilnehmer simple Multiple Choice-Fragen beantworten. Ein klassischer Wow-Effekt, der allen wieder einmal die eigene Beschränktheit vorführt.

Auf der anderen Seite des Spektrums steht die Dichtung. Wir Menschen dichten einen Haufen Dinge dazu, die einfach so gar nicht da waren. Das wird in obiger Übung gleich nebenbei auch gezeigt. Ein Klassiker ist auch der Herr Kommissar, der drei verschiedene Augenzeugen zu einer Straftat befragt. Ergebnis? Die drei Geschichten ähneln sich bestenfalls grob, schlechtestenfalls widersprechen sie sich. Als externer Zuschauer kann man nur mit den Schultern zucken. „Aber haben die denn nicht gesehen, dass…?“ – nein, haben sie nicht! Alles ausgeblendet und auf der anderen Seite Dinge hinzugedichtet, die gar nicht da waren, die so nie gesagt wurden etc.

Vielleicht sagen Sie jetzt: „Aber Herr Schneider – das hat doch überhaupt nichts mit der geschäftlichen Verhandlung/dem professionellen Gespräch zu tun!“ Doch hat es! In meinen Coaching bin ich quasi der unabhängige „Kommissar“, der von einer Meta-Ebene nüchtern und sachlich die Gesamtlage beurteilt. In einem Seminar habe ich darüber hinaus den Vorteil, dass wir uns „die Wahrheit“ hinterher unverfälscht auf Video ansehen und analysieren können.

Ein paar anregende Fragen

  • Was wurde gesagt?
  • Welche Signale wurden gesendet (bewusst oder unbewusst), die aber nicht wahrgenommen und ergründet wurden?
  • Wie wurden verschiedene Dinge gesagt (ja, das kann einen großen Unterschied machen – wie Sie sicher wissen)?
  • Was wurde NICHT gesagt?
  • Was haben wir vermeintlich gehört, tatsächlich aber dazu gedichtet?
  • Welche non-verbale Kommunikation wurde übersehen oder falsch interpretiert (Körpersprache, Mimik, Gestik)?
  • Wie habe ich mich emotional unter Druck setzen lassen (Gefühle!)?

Das sind nur ein paar Fragen, die Ihnen möglicherweise in der nächsten Verhandlung den Hintern (oder zumindest ein paar Euros) retten können. Um diesen Artikel nicht zu lange werden zu lassen, beschränke ich mich auf ein paar wenige Anregungen. Viel mehr und praktisch geübt wird das alles natürlich nur in einem meiner Live-Seminare. Und ein wenig mehr Theorie gibt’s demnächst im zweiten Teil dieser Serie.